Beatrice empfing mich sehr herzlich im Pilgerbüro in Saint Jean Pied de Port. Das erste das sie sehen wollte, war der Pilgerausweis. Was folgte war mein erster Stempel. Ich bezahlte die 8 Euro für die Unterkunft, bekam etliche Blätter mit Informationen, ein Blatt davon wurde mit sechs roten Kreuzen gestempelt. Der offizielle Weg über die Berge war geschlossen. Ich wurde darauf hingewiesen die Straße zu nehmen. Bei einem Vortrag, nur ein Tag vor meiner Abreise in Deutschland, wurde von einem Mann berichtet der den Weg gegangen ist, obwohl er gesperrt war. Der Mann wurde nach 18 Stunden gefunden und starb darauf im Krankenhaus. Ich versprach meiner Mutter den Weg nur zu gehen wenn er offiziell begehbar war.
Alle Formalitäten waren erledigt. Die Unterkunft der Pilger befand sich ein paar Häuser weiter Richtung französischem Stadttor. Auf dem Weg trafen wir auf eine Frau die ein paar Sätze deutsch sprechen konnte. Sie war eine Freundin von Beatrice.
In der Herberge wurde ich mit der gleichen Herzlichkeit von Jeanine empfangen die sich um das Wohl der Pilger kümmerte. Sie zeigte mir gleich dem Schlafraum, zuvor wies sie mich jedoch auf eine „belle coreen“ (schöne Koreanerin) hin die schläft. Gleich nach einer schönen warmen Dusche, die ich wirklich nötig hatte, war ich zurück im Aufenthaltsraum. Ein warmer Tee und fünf Kekse wurden auf einem kleinen Teller serviert. Ich begann von meinen letzten Tagen per „Autostopp auf der Auto-Route und der Nationale“ zu erzählen.
Ich wusste, dass normalerweise nur eine Übernachtung in einer Herberge geduldet wird. Ausnahmen werden nur bei entsprechenden Gründen wie Blasen oder Übermüdung gemacht. Ich wollte etwas ausruhen, meine Wäsche waschen und Berichte schreiben. Gute Gründe, so dachte ich mir. Umso mehr überrascht war ich als Beatrice und Jeanine einverstanden waren, wovon ich eher nicht ausging.
Jeanine bereitete eine Tomatensuppe zu, dazu gab es Brot mit Käse aus der Normandie und Salat den ich zuvor aus dem Supermarkt mitgebracht hatte. Zum Trinken gabs Wein. Ich war rundum glücklich und Jeanine kümmerte sich ausgezeichnet um mich. Am späten Abend trafen spanische Radpilger ein, die am Folgetag ihre Reise beginnen wollten.
Am nächsten Morgen brach ich auf um die Stadt zu erkunden. Ich lief die Stufen hinauf zur Zitadelle (wird jetzt als College benutzt), schlenderte auf der alten Stadtmauer entlang und besuchte um 11 Uhr die Kirche neben dem spanischen Tor.
Ich mochte die Kirche, das Gebäude komplett aus Stein gebaut im gotischen Baustil. Es gab insgesamt drei Etagen, deren Bänke auf Holzdielen und diese wiederum auf schweren uralten Balken lagen. Auf der rechten Seite stand die Orgel in der zweiten Etage. Während des Gottesdienstes wechselten sich zwei Frauen an der Orgel ab. Zu baskischen Liedern spielten drei weitere Musikkanten auf Trompeten und einer Art Blechtröte mit schrillen Tönen.
Viele Lieder, Verse und Predigten wurden in der baskischen Sprache gesungen und gesprochen. Für mich hörte sich diese Sprache an wie osteuropäisch. Die Sprache der Basken ist mehrere tausend Jahre alt und es wird vermutet, dass sie die erste Sprache der Europäer war.
Am Abend lief ein älterer Mann mit weißem Vollbart, Rucksack und Pilgerstab draußen vorbei. Ich sah ihn vom Fenster aus. Er stoppte und trat ein. Er beendete seine letzte Etappe in Saint Jean Pied de Port. Er lief den Camino „Frances“ von Compostela aus. Später traf auch noch eine weitere große Gruppe von Pilger ein. Sie kamen aus verschiedenen Ländern und sie sollten meine Reisebegleiter werden…
Es war noch dunkel, der Himmel war bewölkt und kein Mensch war zu sehen. Ich stoppt nochmals in der Kirche Notre Dam um inne zu halten, mir vielleicht selbst Glück zu wünschen auf meinem Weg. Auf dem Weg, dem Camino de Santiago lief ich unter dem spanischen Tor hindurch. Dichter Nebel hing noch tief. Langsam ließ ich die Häuser hinter mir. Wiesen häuften sich. Bald lief ich an der ersten kleinen Farm vorbei. Kühe kauten an der Futterstelle, im Hintergrund bellte laut ein Hund und störte so die Morgenruhe. Ich war voller Vorfreude, ich dachte zurück an den Vorabend, an all die kleinen Geschichten und Berichte von denen ich gelesen und gehört hatte. -Was wird mich wohl auf meinem Weg erwarten? dachte ich.
Der Weg führte mich überwiegend auf asphaltierten Straßen, vorbei an Häusern, Feldern und Anwesen. Die Straßen stiegen ständig leicht an. Nach 10 Kilometer passierte ich mit zwei Mexikanern die spanische Grenze. Hunde liefen umher, einer kam her um sich streicheln zu lassen. An dem Grenzgebäude war jedoch niemand zu sehen. Nur die spanische Flagge und der Hinweis in dem Guide, den ich bei mir trug, machten mich darauf aufmerksam. Der Nieselregen nahm jetzt deutlich zu, so dass ich mir die Regenjacke überzog. Die anderen beiden trugen über ihren Rucksäcken ihre Ponchos. Ich fühlte mich noch ausgesprochen fit und war froh unterwegs zu sein. Nach gut zehn Kilometer, die wir bis dahin zurückgelegt hatten, stoppte ich kurz um einen Apfel zu essen. Der Weg führte weiter auf einem kleinen Pfad an einem Bach entlang. Die Straße wurde langsam aber zunehmend steiler bis der Weg dann links in den Wald mündete. Zwischen kahlen Laubbäumen schlängelte sich der Weg bergauf. Das alte braune Laub lag auf dem weichen Waldboden
Im dichten Nebel erreichte ich den Pass Ibaneta, an dem unweit 778 der Held des französischen Ronald Liedes bei einer Schlacht ums Leben kam. Unweit erreichte ich kurz nach 15 Uhr Ronsesvalles. Der erste Pilgertag neigte sich dem Ende entgegen…
Noch bei Dunkelheit verließ ich die Unterkunft und lies die Abtei hinter mir. Es war kurz nach halb acht. Im nächsten Supermarkt in dem 3 Kilometer entfernten Ort wollte ich mir etwas zum Frühstück kaufen. Es kam jedoch ganz anders. Luma aus Brasilien und Lee aus Süd Korea schlossen sich mir an und gemeinsam mit Markus legten wir die erste Strecke in einem Wald zurück. Es war noch so dunkel, dass ich die ganze Zeit genau auf den Weg achten musste. Ansonsten wäre ich wohl über eine der vielen Wurzeln gestolpert. Ich wollte jedoch nicht die Taschenlampe einschalten. Ich genoss den morgendlichen Marsch. Zwischen den Bäumen stieg die Sonne empor. Eine Lücke zwischen den Wolken ermöglichte es.
In dem kleinen Ort Burguete kehrten wir in der Bar Fronton ein. Mir gefiel diese einfache aber nette Bar. Im Fernseher über der Bar lief der Wetterbericht. Eine Mischung aus Wolken und ab und zu Aufhellungen war vorausgesagt. Ich bestellte an der Bar meinen ersten „Cafe con Leche“ mit einem Croissant. Für die Morgenetappe war ich also gewappnet. Nach einem weitern, dem bisher 4. Stempel in meinem Credencial del Peregrino (Pilgerpass) verließen wir die Bar. Buen Camino.
Ich lief alleine weiter, da ich kurz zuvor noch Geld abgehoben hatte. Ich verließ den Ort, lief vorbei an einer Rinderfarm und auf einem Schotterweg vorbei an Wiesen. Auf einer grasten mehrere Maultiere. Ich dachte dabei an die Erlebnisse die ich über Trekking im Atlasgebirge in Marokko und Südamerika in den Anden gelesen hatte. Dort benutz man diese Tiere für den Lastentransport. Der Weg führte abwechselnd durch kleine Waldstücke. Unter mehreren kleinen Steinbrücken, die nur für Fußgänger gebaut waren, flossen kleine Bäche in der Idylle der Landschaft vor sich hin. Im nächsten Ort kaufte ich bei dem Verkäufer, der mit seinem kleinen LKW am Straßenrand parkte, etwas Obst. Ich ließ eine ältere Frau vor. Es schien mir so als ob sie noch unschlüssig war was sie kaufen wollte. Ich nutzte die Zeit um die Waren zu begutachten. Sie bezahlte nun ihre Fische und das Obst. Ich kaufte drei Mandarinen und zwei Äpfel der Sorte Fuji. Ich beglich den Betrag, verstaute einen Apfel und eine Mandarine in meiner Jackentasche und lief los. Der Verkäufer wünscht mir „buen Camino“, ich verlies bald zu meiner linken Seite das Dorf. Kaum war ich um die Ecke sah ich auch schon die ersten Schalen im Gras am Straßenrand liegen. Ich lief einen leichten Anstieg empor, schälte eine Mandarine und beobachtete den leicht aufhellenden Himmel. Auf der Anhöhe sah ich über weite sanfte Berghügel hinweg. In der Ferne erhoben sich hohe Berge.
Gegen Mittag überholte ich zwei Pilger. Eine Stunde später kehrte ich in einer kleinen Bar ein. Als ich weiterlief, bemerkte ich, dass weitere Pilger hinter mir waren. Ich muss sie wohl überholt haben als sie eingekehrt waren. Später sah ich, dass es Luma und Lee waren.
Mir gefielen besonders die Dörfer, die sehr zur Landschaft passten. In vielen Orten schätzte ich die Einwohner auf nur ein paar hundert. Hunde liefen umher. Manche bellten aggressiv hinter dem Zaun. Andere wedelten mit der Rute. In den Gärten wuchs noch Wintergemüse das in Plastik und Papier eingewickelt war. Viele Häuser waren aus Natursteinen gebaut. Die meisten waren mit aufwendigen Verzierungen bestückt. Die vorhandenen Klappläden sahen sehr alt aus. Holztüren waren umfasst mit großen Steinbögen und baskischen Schriftzügen. Über einer Türe las ich das Jahr 1651.
Nach einem Anstieg in einem Pinienwald traf ich wieder auf Luma und Lee. Wir liefen zusammen weiter. Bald stoppten wir um Pause zu machen. Ich packte meinen Apfel und die restlichen Mandarinen aus, Luma eine Tafel Schokolade und Lee zog eine Flasche Rotwein aus seinem Rucksack heraus. Was für eine Mittagspause. Wir machten es uns auf Baumstämmen gemütlich und schmausten gemeinsam.
Die letzten 8 Kilometer bis Larrasoana zogen sich noch lange hin. Wir kehrten noch einmal in Zubiri ein. Ich trank ein Kaffee danach probierten wir den lokalen Schnaps. Als wir endlich am frühen Abend das Ziel erreichten war ich stark erleichtert. Beide Füße schienen zu brennen. Nach einer Dusche ruhte ich erstmals etwas in der waagerechten Lage. Ich las in einem Buch und hielt anschließend die eindrucksvollsten Momente des Tages fest.
Nach einer Weile bekamen wir nun alle Hunger. Schnell war klar: wir bereiten uns etwas in der Küche zu. Die Einrichtung war zwar spartanisch aber wir waren zu frieden. Zu essen gab es an unserem zweiten Abend Pasta mit Tomatensoße, Thunfisch und Oliven. Dazu Wein und Tee. Geschafft und mit vielen Eindrücken schlief ich ein…
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