Schon im Flugzeug fielen mir einige Sachen auf, die ich während der letzten Monate nicht oft sah und erst gar keine Möglichkeit dazu hatte Gebrauch davon zu machen. Am meisten viel mir der Bildschirm vor mir auf. Da waren Filme zu sehe die auf fast allen Bildschirmen um mich herum liefen. Des weiteren Spiele und andere Unterhaltungsmöglichkeiten. Bei all meinen bisherigen Flüge machte ich fast immer Gebrauch davon. Diesmal war es anders. Ich hatte kein Bedürfnis danach. Ich verfolgte nur gelegentlich die Flugroute und hörte Musik.
Ich wusste ja was mich erwarten wird wenn ich zurück in Europa bin, was ich sehen werde und wie sich die Menschen verhalten und agieren würden. Es war eigentlich kein wirklicher Kulturschock mehr für mich aber ich nahm alles viel intensiver und deutlicher war denn je.
Klar freute ich mich auf all die Lebensmittel an die ich die letzten Monate nicht kam, die ich nicht sah. Da gab es z.B. frisches Obst, Gemüse oder alleine die Kühlregale. In den Shops der letzten Wochen kaufte ich mein Weißbrot mit Haltbarkeitskäse, Tunfisch, Sardinen oder zur Abwechslung wenn es mal gab Dosenfleisch. Importiert aus Holland und Dänemark. Jetzt lag da abgepackte Wurst in verschiedensten Arten und Größen. So viel das ich aufhörte still zu zählen. Dann der Käse und nebenan der Joghurt. Ich war zurück in der Konsumwelt, zurück in der globalisierten Welt. Nicht mehr in der dritten Welt.
Genau wie damals in Lissabon hatte ich schon eine Vorahnung dass etwas nicht stimmte. Ein komisches Gefühl. Damals war es während der Tage nach der Ankunft meiner Pilgerreise als ich auf mein Rad wartete. Dieses Mal am Gepäckband nach der Ankunft am Frankfurter Flughafen. Deshalb war ich damals sowie auch dieses Mal nicht überrascht als der Karton wirklich nicht ankam. Damals lag es an der Post an jenem Tag am Flughafen in Istanbul. Bzw. beide Male am Personal. Ich regte mich nicht wirklich darüber auf. Was blieb mir auch anderes übrig. Gelernt hatte ich bereits damit umzugehen und ändern würde es auch nichts. Auch dann nicht wenn ich mich noch so aufregte. Also blieb ich so gut es ging ruhig.
Zwei Tage vergingen an denen ich mehrmals zum Flughafen fuhr. Meistens morgens und abends. Mit der S9 waren es ja nur 5 Minuten bis dorthin. Der Karton war bei meinem Zwischenstopp in Istanbul in der Maschine als dieser landete, aber nicht an Bord des Anschlussfliegers nach Frankfurt. Er blieb in Istanbul zurück. Beim zweiten Mal als ich am Flughafen zur Info lief sagte ich nur noch das ich den roten Schalter gleich drücken werde, der mir eine Türe zu einem Raum öffnete indem die Gepäcklaufbändern waren. Ich wusste ja bereits bestens Bescheid. Menschen warteten davor auf Verwandtschaft, Freunde oder Bekannte. Man sah ihnen die Vorfreude und die Anspannung deutlich an. Sobald sich die Türe vor ihnen öffnete hinter der ich verschwand.
Am zweiten Abend saßen wir gerade beim Abendessen. -Was nun wenn der Karton wirklich nicht kommen würde?- Ich erzählte von meiner Idee für den Fall dass das Rad wirklich nicht ankommen würde. Davon dass ich dann bis in den Schwarzwald laufen würde. Es gibt da ein weiterer Pilgerweg der in Darmstadt oder Aschaffenburg also nur wenige Kilometer entfernt beginnt. Er führt nur wenige Kilometer an meinem Ziel vorbei. Warum also nicht. Ich machte mir bereits Gedanken welche Ausrüstung ich mir dafür schicken lassen müsste als plötzlich das Telefon klingelte.“ Es steht jemand unten“ sagte mein Cousin der Person am anderen Ende der Leitung. Im nächsten Moment war ich bereits im Treppenhaus nach unten unterwegs. Das Essen wurde kalt aber das Rad war da.
Zwei Tage später fuhr ich los. Ich trug keine Teva´s, auch keine kurzen Hosen mehr. Es war deutlich frischer geworden aber angenehm sodass ich fast nicht mehr in Schwitzen kam.
Bis nach Frankfurt war es nicht mehr weit. Ich stoppte gelegentlich da das ein oder andere noch nicht richtig passte bzw. eingestellt war. In Frankfurt selbst stoppte ich beim Globetrotter um mir noch eine neu Kartuschen und Flickzeug zu kaufen. Am längsten jedoch hielt ich mich in die Bücherabteilung auf. Mit den Sachen von zuvor und zwei neuen Büchern inklusive Mainradführer verließ ich das Ausrüstungsparadies.
Unweit vom Globetrotter, ich kam gerade von einem Supermarkt zurück traf ich auf Christoph. Er hatte mich bereits Ausrüstungshaus gesehen und war selbst schon öfters unterwegs. Zuletzt ist er mit dem Liegerad nach Australien gefahren. Ich war gerade erst seit ein paar Stunden unterwegs und bekam schon die erste Einladung. Die erste in Deutschland. Für ein Nachtlager war es jedoch noch zu früh und so fuhr ich nach einem interessanten Gespräch am Mainufer entlang und verließ Frankfurt. Die Skyline aus Glas und Stahl ließ ich hinter mir zurück.
Auf den Radwegen waren etliche Radfahrer unterwegs sodass ich weiter gar nicht mehr auffiel. Nur wenn ich mit Menschen ins Gespräch kam und meine Geschichte erzählte. Ich erzählte sie aber nicht jedem, nur wenn es passte und ich Lust dazu hatte. Besonders viele Radfahrer waren an den Wocheneden unterwegs. Am ersten Abend schlug ich das Zelt etwas abseits, aber mit Blick zum Main auf. Nicht direkt am Ufer den der Radweg führte dort entlang.
Der Radweg führte immer entlang des Mains, mal etwas entfernter, mal direkt am Wasser. Der Flusslauf machte was er wollte. Er schlängelt sich in mehreren Bögen unweit von der tschechischen Grenze bis zum Rhein in den er auch mündet. Nach ein paar Tagen die ich bereits unterwegs war schaute ich auf die Karte. Leicht verwundert stellte ich fest wie wenig ich mich seither erst von Frankfurt entfernte. Ich war unterwegs im Mainviereck. Als nächstes folgte das Maindreieck.
Die Etappen die ich fuhr waren nicht sonderlich anstrengen, da es ja fast eben war. Am Tag legte ich zwischen 30 und 80 Kilometer zurück, je nachdem was es zu sehen oder zu erleben gab. Am schönsten für mich war die Tatsache unterwegs zu sein, Rad zu fahren und mir die Zeit zunehmen das Leben zu sehen. Die erste größere Stadt hieß Seligenstadt. Hier traf ich auf netten Menschen in der Stadt und im Klostergarten indem mir giftige Pflanzen gezeigt wurden. Wir fanden auch Feigen und Artischocken die dort wuchsen. Bis nach Aschaffenburg waren es nur noch wenige Kilometer. Von weitem sah ich schon die Türme von Aschaffenburgs Schloss.
Kurz vor Miltenberg erreichte ich Erlenbach. Dort ist noch die letzte Werft entlang des Flusses anzutreffen. Alte Frachtkähne die man bereits durch neue ersetzte, wurden hier geteilt und zu zwei Schiffen zusammengesetzt. Bestimmt werden auch Reparaturen durchgeführt, jedoch nicht an diesem Tag den es war Sonntag. Nur drei Fischer saßen auf der gegenüberliegenden Seite und fischten.
Der Main ist auf jeden Fall für internationalen Schiffverkehr geeignet. Seit der Vollendung des Main- Donau Kanals 1992 ist es möglich mit dem Schiff von der Nordsee über den Rhein, den Main mit Hilfe des Main Donau Kanals zur Donau zu gelangen und von dort immer weiter bis zum Schwarzen Meer.
Ich sah des Öfteren Schweizer Reiseschiffe. Auch Aida war vertreten. Sie transportierten die Touristen, die Kähne Güter. Viele Franzosen und Holländer gaben ihre Herkunft per Fahnen Preis.
In Würzburg hielt ich mich eine ganze Weile auf. Zuerst fuhr ich zum Fränkischen Pilgerbüro um meinen Pilgerpass abzuholen den ich in einigen Tagen für das Radwandern bzw. Radpilgern brauchte. In Würzburg war wieder sehr viel von der Globalisierung zu spüren und zu sehen.
Auch wenn im zweiten Weltkrieg ca. 90 Prozent der Stadt zerstört wurden so blieben dennoch ein paar einzelne Gebäude verschont die sehr verstreut in der Stadt verteilt lagen. In der Fußgängerzone gab es nur noch neuere Gebäude.
Am wohl schönsten waren, die Würzburger Residenz der Fürsten, die Festung Marienberg und der Dom. Ich lief gerade in dem neu renovierten Dom, betrachtete die weißen Wände und die Neu- Kunstgemälde unter den Decken über mir als eine Frauenstimme ertönte „ Ich lade sie zum kurz nach zwölf Gottesdienst in unserem neu renovierten Dom ein. Nehmen sie sich eine Auszeit aus dem Alltag und genießen sie diese fünfzehn Minuten“ Ohne groß zu überlegen nahm ich auf einer Bank neben der ich stand Platz. „ Das Thema des heutigen Gottesdienst“ verkündete die Pfarrerin „ Wer eine Reise tut der kann etwas erzählen“. Daraufhin musste ich ungewollt und unüberhörbar laut lachen. Ich blieb und lauschte den Worten der Pfarrerin. Über die alte Mainbrücke verließ ich am frühen Abend Würzburg.
Mittlerweile lag die halbe Strecke des Mainradwegs hinter mir. Jeden Abend, wenn es soweit war stoppte ich und schlug mein Zelt meist immer direkt wenn es mir möglich war am Ufer auf. Wasser das ich brauchte nahm ich direkt vom Main. Außer das Trinkwasser natürlich. Das füllte ich mir am Wasserhahn immer wieder auf. Zu meist auf den Friedhöfen da dort das Wasser nicht abgestellt war. Wenn ich mit einer 1,5 Liter Flasche Menschen entlang am Weg fragte wurde ich meist mit verwundertem Blick angeschaut. Langsam aber sicher gewöhnte ich mich an die Menschen an deren Handeln und deren Denken. Ich war ja bereits schon seit zwei Wochen wieder zurück in Deutschland.
Nicht so oft wie all die Monate zuvor aber mindestens so herzlich waren die Gastfreundschaften die ich erleben durfte. Einmal z.B. traf ich zwei Frauen die ich nach dem nächsten Supermarkt fragte. Die zwei waren interessiert was ich den kaufen wollte. „Tomaten und Spagetti“ antwortete ich. Daraufhin meinten die beiden sie kamen gerade aus dem Garten und schenkten mir etwas von dem frischen Gemüse das sie dort pflügten. Am nächsten Tag erreichte ich Schweinfurt.
Die für mich schönste größere Stadt entlang der Route war Bamberg mit einer sehr gut erhaltenen Altstadt. Manche Gebäude stammten aus dem 13. Jahrhundert. Abermals wie auch in Würzburg war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In dem Kaiserdom fand ein halbstündiges Orgelkonzert statt. Vor Beginn erzählte mir ein Missionarspfarrer von dem Konzert. So wurde ich erst darauf aufmerksam und wollte es mir anhören da ich noch auf keinem seither war. Ich traf ihn als ich in der Außenanlage des Doms in eine Sackgasse lief. Er selbst verbrachte 30 Jahre in Afrika und war erst seit kurzem wieder zurück in Deutschland.
In Bamberg endete der Schiffsverkehr. Alle Schiffe die ab hier noch weiter Flussaufwärts fahren wollten konnten dies nur auf dem Main Donau Kanal tun. 171 Kilometer müssten sie von Bamberg aus zurücklegen bis sie auf der Donau bei Kelheim eintreffen würden.
Der Main wurde von nun an bis Kulmbach immer schmäler. Unweit von dort befindet sich der Zusammenfluss der beiden Main Quellen. Der Weiß Main und der Rot Main die jeweils an zwei unterschiedlichen Stellen von den Bergen fließen. Jetzt trennte mich nur noch ein Tag von der Rot Main Quelle in der Fränkischen Schweiz. Auf den letzten 5 Kilometer fuhr ich das erste Mal seit fast zehn Monaten auf breiten Forststraßen durch den Wald. Ich genoss es und es fühlte sich etwas heimisch an. Es war bereits dunkel als ich das Zelt neben einer Bank aufstellte. Ich war froh das Etappenziel erreicht zu haben und es machte mir unglaublich viel Spaß.
Am nächsten Morgen kam ein weiterer Radfahrer. Kurz nachdem er weiterfuhr ein älteres Ehepaar mit dem Auto. Auf dem Dach standen ihrer Räder. Sie erzählten von ihrer Radreise auf dem Mainradweg. Die beiden Quellen schauten sie sich mit dem Auto an bevor sie ihre Heimreise antraten.
Ich beendete meine Mainradreise nach einer Abfahrt wie schon lange nicht mehr etwa zwei Stunden später in Creusen.
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